Episches Kino, aber bitte nicht fad
Streiken Hollywoods Cutter? Wieso sind viele neue Filme fast drei Stunden lang - und langweilig
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von Jannah FischerIst die Zeit der 90-Minüter vorbei? Immer mehr Blockbuster wie "Gladiator 2", "Oppenheimer" oder "Napoleon" sind überlang. Bei fast drei Stunden Spielzeit ist die Toilettenpause vorprogrammiert, das Kinovergnügen nicht unbedingt. Selten schaffen es die XXL-Streifen durchgehend Spannung zu generieren. Woran liegt das?
Monumentalfilme - ohne monumental zu sein
Man könnte hier zunächst Filme auflisten, die in den letzten Jahren die Drei-Stunden-Marke geknackt oder sich ihr stark angenähert haben. Der neueste in der Liste ist "Gladiator 2" von Ridley Scott, der mit zweieinhalb Stunden Spiellänge einer der kürzeren Vertreter im Trend der Überlange ist. "Napoleon", ebenfalls von Scott, oder die beiden "Dune"-Teile von Denis Villeneuve sind auch in etwa so lang. "Oppenheimer", "Killers of the Flower Moon" oder "Avatar: Way of Water" sind mit drei bis dreieinhalb Stunden sogar noch länger.
Filme, bei denen man sich den ganzen Tag blocken muss, um sie zu schauen, sind jedoch keine Neuheit für Cineasten. Besonders in den sechziger Jahren boomten Monumentalfilme wie "Ben Hur", "Spartacus" oder "Lawrence von Arabien" mit Laufzeiten von über zwei Stunden. Was einen Monumentalfilm ausmacht? Hohe Produktionskosten, epische Massenszenen, die neuste Inszenierungstechnik und generell das Motto "The bigger, the better" - hier wird geprotzt! Und auch die Storyline ist episch: Plötzliche Wendungen und Dramen stehen denen einer Telenovela in nichts nach. Alle Facetten einer Heldenreise werden ausführlich durchlebt.
"Gladiator 2": Bitte schneiden Sie Szenen raus, Herr Scott!
Und vielleicht liegt genau hier der Denkfehler mancher Filmemacher. Denn nicht jeder Film, der lang sein kann, sollte es auch sein. Oftmals gibt das Drehbuch einfach nicht genug her und wird mit unnötigen Nebenhandlungen gestreckt. Sorry an alle Fans, aber muss wirklich jede Person, der Oppenheimer jemals die Hand geschüttelt hat, als Filmfigur auftauchen? Wo bleibt der Mut zum Weglassen? Muss wirklich jeder Kampf in "Gladiator 2" von Anfang bis Ende gezeigt werden? Warum stattdessen nicht andere Handlungsstränge vertiefen und nur Ausschnitte der (repetitiven) Kampfszenen zeigen?
Hier könnte man ja noch argumentieren, dass das zum Stil solcher Filme gehört - nun gut. Aber bleiben wir beim "Gladiator 2"-Beispiel. Warum, und das ist jetzt direkt an Ridley Scott gerichtet, muss die Kamera am Ende einer Szene zwischen Lucilla und Acacius auf deren Hunde schwenken und dort verweilen? Was hat das mit dem Film zu tun? Symbolismus? Fehlanzeige - anscheinend hatten noch ein paar Sekunden gefehlt, um die Marke von zwei Stunden und dreißig Minuten zu knacken.
Das heißt nicht, dass Filme nicht lang sein dürfen oder sollen. "Dune" oder "Der Herr der Ringe" schaffen es nur so, den dicken und dicht erzählten Buchvorlagen ansatzweise gerecht zu werden. Doch genau das zeichnet diese Filme aus: Sie sind dicht erzählt. Wenn allerdings das Gefühl aufkommt, dass die Handlung eigentlich nach 90 Minuten auserzählt ist und der Rest verwässert wirkt, dann wäre es vielleicht an der Zeit, dem Cutter seine Arbeit zu überlassen. Bestes Beispiel: "Babylon - Im Rausch der Ekstase" mit Margot Robbie, Brad Pitt und Tobey Maguire floppte an den Kinokassen. Warum? Weil lang - und langweilig.
Ironischerweise löste ausgerechnet Hauptdarsteller Brad Pitt im Interview mit "W" das Rätsel, weshalb das so war. Als er das Drehbuch zum ersten Mal in der Hand hielt, war es 180 Seiten dick. Da eine Seite ungefähr einer Filmminute entspricht, also auch 180 Minuten lang. Brad erzählte: "Ich sagte: 'Das ist ein Meisterwerk. Aber was wird herausgeschnitten?' Und [Regisseur Damien Chazelle] sagte: 'Nichts.'"
Laut Recherchen der "Vanity Fair" hängt der Trend auch mit der Pandemie zusammen. Längere Filme sollen von der Couch in die Kinos locken, weil Überlange bei Filmfans direkt die Assoziationskette auslöst: lang = inhaltsvoll = gut = Oscarkandidat = Must-see. Eine weitere Erklärung? Das Streaming ist schuld. Hier kann ein Film so lang sein wie er will - man kann ihn zu Hause pausieren und nach Belieben einteilen. Sprich: Wichtige Produzenten, die ein Faible für epische Inszenierungen haben, sagen Projekte häufiger zu. Oder um es in den Worten der "Vanity Fair" zu sagen: "Wer möchte der Manager sein, der Nein zu Scorsese sagt und ihn an Netflix verliert?"
So kann auch ein langer Film Spaß machen: Streame "Dune"
Es gibt Hoffnung: Filme können auch kurz und gut sein
Doch es funktioniert eben nicht immer. Wer hat schon Lust, beim Kinobesuch strategisch zu planen, wie viel man wann trinken kann, ohne auf die Toilette zu müssen - oder eben welche Szenen man verpassen kann, um aufs Klo zu gehen. Für "Killers of the Flower Moon" kursierten auf TikTok Anleitungen, wann und wie lange man den Kinosaal verlassen kann, ohne den Anschluss an die Handlung zu verlieren. Oder vor aufgestauter Energie im Sitz herumzurutschen, wie bei einem Langstreckenflug?
Auch im Streaming macht es nicht immer Spaß, lange Filme zu schauen: Klar, man kann pausieren, aber ein Movie in mehreren Etappen zu schauen, erfordert Commitment. Schließlich muss man sich jedes Mal aufs Neue in den Film hineindenken. Nervig. Wie gut, dass immer noch viele Leinwandabenteuer produziert werden, die den guten alten 90 bis 120 Minuten treu bleiben. Alles andere sollten ein Kann und kein Muss bleiben - und ja, auch das richtet sich wieder direkt an Ridley Scott.