Die Kandidatin über ihre Teilnahme und das Umstyling
Transgender-Model Mirella: "Für mich bedeutet, heute eine Frau zu sein, ich selbst zu sein"
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von nvMirella kämpft nicht nur um den Titel Germany's Next Topmodel, sie will bei GNTM 2023 auch ihre persönliche Geschichte als Transgender-Person erzählen. Im exklusiven GNTM-Interview zeigt sich die 21-Jährige so offen und ehrlich wie noch nie.
Das Wichtigste in Kürze
Mirella ist eine der Kandidatinnen, die bei "Germany's Next Topmodel" 2023 dabei sind.
Im Interview spricht die 21-Jährige offen über ihre Teilnahme bei GNTM 2023, ihr Umstyling und ihre Transsexualität.
Woche für Woche stellt Mirella ihr Modelpotenzial bei GNTM 2023 unter Beweis. Mittlerweile ist die 21-Jährige unter den Top 11 bei "Germany's Next Topmodel". Was sich Mirella von ihrer Teilnahme erhofft und wie sie ihr Umstyling erlebt hat, verrät die Topmodel-Anwärterin exklusiv im GNTM-Interview. Außerdem spricht das Transgender-Model so offen wie noch nie über ihre Transsexualität.
Hinweis: Die Begriffe transgender und transsexuell bezeichnen Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Transsexuelle Menschen, oder auch Transpersonen, fühlen sich oft sehr unwohl mit ihrem biologischen Geschlecht und möchten es ändern, um ihr wahrgenommenes Geschlecht zu reflektieren. Wichtig: Transsexualität ist kein psychologisches Problem, wie die WHO offiziell feststellt.
Mirella, du bist im Rennen um den Titel Germany's Next Topmodel. Hättest du gedacht, dass du so weit kommst?
Ich bin, was das angeht, zweigespalten. Zum einen habe ich mir von Anfang an eingeredet, dass ich das Ding machen werde. Wäre ich nicht mit einer gewissen Selbstverständlichkeit an diese große Herausforderung herangegangen, dann hätte ich mich wahrscheinlich schnell verunsichern und einschüchtern lassen.
Mir hilft es, meine Messlatte und meine Erwartungen an mich selbst, möglichst hochzusetzen. Dann ist meine Angst, mich selbst zu enttäuschen, nämlich so groß, dass ich alles daransetze, diese Enttäuschung zu vermeiden. Andererseits habe ich aber auch von einem Tag zum nächsten gelebt und mich an jeden Erfolg festgeklammert. Anfangs wollte ich nicht als eine der Ersten gehen müssen und irgendwann habe ich dann angefangen, mich im Finale zu sehen.
Warum hast du dich entschieden, bei "Germany's Next Topmodel" 2023 teilzunehmen? Was erhoffst du dir von deiner Teilnahme?
An meine Teilnahme war vorerst die selbstlose Vorstellung geknüpft, anderen Menschen, die sich in irgendeiner Art und Weise mit mir identifizieren können, Mut zu machen. Im Laufe der Dreharbeiten habe ich aber gelernt, mich selbst dabei nicht zu vergessen - und dass mein eigentliches Ziel das Modeln ist. Ich wollte mir ein Portfolio aufbauen, einen Namen machen und eine Legacy erschaffen.
Ich habe realisiert, dass ich für niemanden, außer für mich selbst sprechen kann und auch möchte. Ich bin in jederlei Hinsicht ein Individuum mit individuellen Erfahrungen, aus denen letztlich auch individuelle Sichtweisen resultieren. Und ich bin hier, um meinen eigenen Traum zu leben.
Mirella, wie hat sich dein privates Umfeld seit der Teilnahme verändert?
Als meine Teilnahme bei GNTM publik gemacht wurde, traten plötzlich wieder Menschen aus meiner Vergangenheit zurück in mein Leben, was ich im Gegenteil zu vielen anderen als etwas Positives empfinde und sogar begrüße. Wir verkennen manchmal, wie wertvoll die Bereitschaft zur Veränderung ist. Und ich denke auch, dass wir manchmal vergessen, welch eine große Tugend die Vergebung ist. Nicht nur für andere, sondern auch rein egoistisch gedacht, für uns selbst. Wenn wir anderen die Möglichkeit einräumen, ein besserer Mensch zu werden, dann macht das gleichzeitig auch uns zu einem besseren Menschen.
Darüber hinaus haben mich sogar Professoren aus meiner Uni und die Kinder der Lehrer aus meiner Grundschulzeit kontaktiert. Der Kreis schließt sich. Und ich weiß nicht, ob ich mehr geschafft habe, als man mir zugetraut hat. Aber was ich mit Sicherheit sagen kann, ist:
Ich habe mehr erreicht, als ich mir jemals erträumt habe.
Du hattest am meisten Respekt vor dem Umstyling in Folge 5. Warum?
Meine größte Sorge war zu Beginn das große Umstyling. Primär aus dem einfachen Grund, dass meine Haare bislang Ausdruck meiner hart erkämpften Weiblichkeit waren. Ich hatte nicht immer das Privileg, sie so lang tragen zu dürfen, ohne dafür angefeindet zu werden. Und deshalb halte ich sie auch heute noch in großen Ehren.
Jedoch kam ich irgendwann zu der Erkenntnis, dass meine Weiblichkeit lange nicht so fragil ist, wie der Bestand meiner Haare. Es sind nicht meine Haare, die mich zur Frau machen, sondern es ist die Art, wie ich denke, wie ich fühle und wie ich bin.
Ich bin Mirella. Und das war ich in gewisser Weise auch schon, als ich noch kurze Haare hatte.
Mirella, wie hast du dein Umstyling empfunden?
Am Tag des Umstylings hat sich plötzlich, wie von Zauberhand, ein Schalter in mir umgelegt. Ich wollte auf einmal keine Puppe mit Puppenhaar mehr sein, sondern ich wollte ein Statement setzen. Und auch das ordne ich retrospektiv als problematisch ein.
Mein Körper sollte nicht mehr länger ein Mittel zum Zweck darstellen. Ich habe ihn lang genug unterdrückt. Ich bin nun an einem Punkt angekommen, an dem ich den Selbstzweck in mir sehe und anfangen möchte, die Dinge für mich allein zu tun. Unabhängig davon, ob es dafür Lob oder Kritik für mich regnet.
Mirella spricht offen über ihre Transsexualität
Mirella, du wurdest im Körper eines Jungen geboren. Wann hast du gemerkt, dass dieses Geschlecht nicht deiner Vorstellung entsprach?
Während andere Kinder in der Grundschule davon träumten, Astronaut oder Tierärztin zu werden, war mein einziger Wunsch, ungestraft ich selbst sein zu dürfen. Bis zu dem Zeitpunkt waren mir die Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen noch gar nicht wirklich bewusst. Und so habe ich auch mich selbst nicht großartig hinterfragt. Schon im Kindergarten war ich so, wie ich auch heute noch bin. Menschen in der Öffentlichkeit, die mich nicht kannten, sprachen mich oftmals als Mädchen an. Kindergartenerzieherinnen vermuteten sogar, ich würde einmal zu einem schwulen Mann, oder einer transsexuellen Frau heranwachsen.
Als wir jedoch älter wurden und es plötzlich untypisch war, eine(r) der Mädchen zu sein, begannen die ersten Anfeindungen. Plötzlich wurden wir in Jungen und Mädchen unterteilt - da fiel mir zum ersten Mal auf, dass ich das nicht bin. Ich bin kein Junge. Aber bin ich denn ein Mädchen? Mir fehlten die passenden Worte, um meine Gefühle zu beschreiben.
Wie hast du dein Coming-out erlebt und wie hat dein Umfeld darauf reagiert?
Mein Umfeld hat sehr differenziert auf mein Outing reagiert. Diejenigen, die mich zuvor schon liebten, liebten mich noch immer. Und diejenigen, die mich ohnehin nicht mochten, hatten nun einen Grund, mich zu hassen.
Aus meinem engen familiären Umfeld hat sich mein Vater anfangs etwas schwer damit getan, mich als seine Tochter zu akzeptieren. Nicht, weil er mich nicht bedingungslos liebt und unterstützt, sondern weil man seine neu gewonnene Tochter lieben, und gleichzeitig den Verlust seines für lange Zeit geliebten Sohnes bedauern kann. Aber schließlich kam auch er zu der Erkenntnis, lieber eine glückliche Tochter als einen unglücklichen Sohn zu haben.
Mir war es schon immer wichtig, abends zu Bett zu gehen und mit mir selbst im Reinen zu sein. Hätte meine Angleichung für mich den sozialen Tod oder den Ausschluss aus meiner Familie bedeutet, dann hätte ich keinen Moment gezögert. Ich musste das tun.
Wie gehst du mit deinem Transgender-Hintergrund um?
Meine Transsexualität hat für mich schon immer die Bedeutung gehabt, die mein Umfeld ihr zuschreibt. In Zeiten wie diesen, in denen meine Identität von Meinungsmachern sowohl auf der politischen Rechten als auch auf der politischen Linken zunehmend politisiert und instrumentalisiert wird, um sie wie einen Spielball hin und her zu werfen und daran zu verdienen, ist es schwer, losgelöst davon zu existieren. Indem man mich darauf reduziert, zwingt man mich dazu, nur noch diesen einen kleinen Teilaspekt meiner Identität wahrzunehmen und auszudrücken. Fragt mich über nichts anderes außer über meine Transsexualität, und ich werde auch über nichts anderes als das erzählen können. Lässt man mich aber einfach Mirella sein, dann treten ganz andere Teile meines Selbst ans Licht, die sonst von diesem Thema überschattet würden. Ich kann meine Gedanken dann wichtigeren Themen widmen und mich der Zukunft zuwenden, anstatt einer längst vergangenen Illusion dessen, was einmal zu sein schien.
Ich bin zudem ein sehr nostalgischer Mensch. Manchmal schwelge ich gerne in Erinnerungen, die gar nicht die meinen sind und sehne mich in eine Zeit zurück, in der man nicht mehr wusste, als dass es Menschen gibt, die ihr Geschlecht wechseln. Als meine Identität an keine Bedingungen geknüpft war und mit mir nicht automatisch das Beziehen eines politischen Standpunkts assoziiert wurde. Als Transsexualität nicht mehr und nicht weniger war als die Sache an sich. Eine medizinische Diagnose, die es gilt, mithilfe von geschlechtsangleichenden Maßnahmen zu behandeln.
Was bedeutet es für dich, heute eine Frau zu sein?
Für mich bedeutet, heute eine Frau zu sein, ich selbst zu sein. Dass ich stärker bin, als ich dachte. Und dass ich aus den Steinen, die mir in den Weg gelegt wurden, etwas Gutes geschaffen habe. Dass, selbst wenn es manchmal nicht so scheint, Gott einen Plan hat.
Transsexualität ist nichts Erstrebenswertes. Sie ist immer mit großem Leid verbunden. Man fühlt das eine, ist aber das andere. Gefangen in einem Fremdkörper, der dein Körper sein soll. Ein Kampf gegen sich selbst, für sich selbst.
Wie reagiert die Umwelt auf dich heute?
In meinem Alltag spielt das Thema mittlerweile, wenn überhaupt, eine untergeordnete Rolle. Meine Umwelt nimmt mich vollumfänglich und ausnahmslos als Frau wahr. Zumindest so lange, bis sie von meiner Vergangenheit erfahren. Dann kommen die Fragen über meine Traumata und über meinen Körper. Dabei habe ich das alles nicht durchgemacht, um davon gebrandmarkt zu sein. Vielmehr sollte das der Beginn eines neuen Kapitels sein.
+++ Update 6. Februar 2024: GNTM Staffel 19 mit Männern und Frauen +++
Bei GNTM 2024 treten erstmals Kandidatinnen neben Kandidaten an: Hier seht Ihr die Vorstellungsvideos zu GNTM 2024. In der neuen Staffel sind diese Kandidatinnen dabei: Alexandra, Fabienne, Felice, Grace, Jana, Kadidja, Lea, Leoni, Lilli, Lilian, Lydwine, Marcia, Mare, Nuri, Sara, Stella, Tracy, Vanessa, Vivien und Xenia.
Bei den Männern treten an: Aldin, Armin, Bao-Huy, Dominic, Dominik, Felix, Franz, Frieder, Jermaine, Julian, Linus, Livingsten, Lucas, Luka, Marvin, Max, Maximilian, Pitzi, Yanik und Yusupha.
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Du sagst, dass du all das Schlechte, was du erlebt hast, in etwas Gutes umwandeln willst. Welche negativen Erlebnisse waren das zum Beispiel?
Das Schlechte, was mir widerfahren ist, hat nicht allein mit meiner Transsexualität zu tun. Ich glaube, dass wir alle unser Päckchen zu tragen haben. Ob sich das auf ein großes polarisierendes Konzept wie Transsexualität herunterbrechen lässt, ist für mich dabei nebensächlich. Auch ich ertappe mich manchmal dabei, wie ich die Negativität in meinem Leben prinzipiell auf dieses Thema zurückführe. Doch tue ich mir damit unrecht und mache es mir, ehrlich gestanden, auch sehr leicht.
Du entscheidest über dein Leben. Mach es lebenswert.
Mirella, bist du schon einmal mit transfeindlichen Äußerungen in Berührung gekommen?
Ich habe, bis hin zu Morddrohungen, alle erdenklichen Anfeindungen erlebt. Der einzige Weg, das nicht zu internalisieren und sich davon nicht einnehmen zu lassen, ist Selbstbewusstsein. Und das nicht im herkömmlichen, einfach gedachten Sinne. Man muss sich seiner selbst bewusst werden. Wer bin ich? Wer möchte ich sein? Und was schätze ich an mir und woran kann ich arbeiten? Wenn dich eine Äußerung trifft, dann ist das meist nicht dem Aggressor zuzuschreiben. Bei dir besteht eine Wunde, in die Salz gestreut wurde. Lass sie heilen, und du bist unantastbar.
Außerdem würde kein gesunder und glücklicher Mensch grundlos Morddrohungen verschicken. Nicht du bist das Problem. Du bist nur eine von vielen Projektionsflächen. Wäre ich nicht transsexuell, dann hätte ich eine Zahnlücke oder abstehende Ohren, über die Menschen mich zu diskreditieren versuchen würden.
Wie gehst du mit Transfeindlichkeit um?
Transfeindlichkeit lässt sich nicht bekämpfen. Wenn Menschen an das Schlechte in dir glauben wollen, dann existiert es auch. So blöd es auch klingt: Gib ihnen einen Grund, Gutes in dir zu sehen. Zeig, dass du gewillt bist, dich in unsere Gesellschaft zu integrieren. Zeig, dass du gute Absichten hast. Nur so lässt sich Transfeindlichkeit nachhaltig überwinden.
Aus deiner Perspektive: Ist die Gesellschaft Transpersonen gegenüber offener und toleranter geworden?
"Die Gesellschaft" ist denjenigen Transpersonen gegenüber offener geworden, die als eine Art Monolith existieren und ohne Abweichungen die allgemeinakzeptierten Meinungen vertreten. Vertrittst du als Transperson kritische Meinungen, gegenüber der sogenannten "Community" beispielsweise, dann wird dir all das, wofür eigentlich "gekämpft" wird, abgesprochen. Deshalb würde ich mich selbst auch als politisch heimatlos bezeichnen. So wie schon immer bin ich für die eine Seite zu viel und für die andere zu wenig. Etwas dazwischen, das den Rahmen sprengt und deshalb keine Existenzberechtigung hat.
Aber wie man sieht: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. In die kleine Kiste, den Fernseher, auf dem Wohnzimmertisch habe ich reingepasst.
And I’m not planning on stopping anytime soon. Not yet.
Statistiken zufolge sinkt die Akzeptanz gegenüber Transperson zum ersten Mal seit einer langen Zeit. Woran das liegt, muss sich jeder selbst fragen.
Letzte Frage, Mirella: Was wünschst du anderen Transpersonen?
Was ich mir für andere Transpersonen wünsche? Das Gleiche, was ich mir für jeden Menschen wünsche: ein selbstbestimmtes, glückliches und erfülltes Leben.